Katzen und der Sinn des Lebens
Eine Kurzfassung und Interpretation nach dem gleichnamigen Buch von John Gray.


Was haben Katzen, was wir nicht haben?
Nunja, zum Einen haben sie Fell, zum anderen spielen sie gerne mit ihrem Essen (was bei manchen Menschen natürlich auch nicht ausgeschlossen werden kann).
Doch bei näherer Betrachtung wird einem vielleicht bewusst, dass Katzen einen durchaus eigenständigen Charakter besitzen, der im Vergleich zu Hunden nicht bedingungslos an den Menschen geknüpft ist. Katzen sind durchaus dazu in der Lage, ihr Leben auf eigenen (vier) Beinen zu führen - ein bestes Beispiel dafür sind die Draußenkatzen.
Die Domestizierung des Menschen
Eines der großen Geheimnisse, warum Katzen so viel glücklicher sind als Menschen liegt in einem Wort: Genügsamkeit. Während die Katze an einem warmen Sonntag entspannt die hellen Sonnenstrahlen auf dem Balkon genießt, schiebt ihr Besitzer im Hintergrund wieder Terror: Das Handy defekt und mit einer lauwarmen Tasse Kaffee starrt ihr Herrchen/Frauchen frustriert aus Langeweile die leere weiße Wand im Wohnzimmer an. Die ersten Gedanken kommen hoch, dann die nächsten und übernächsten, bis letztendlich alle Lebensentscheidungen hinterfragt werden. Bin ich eigentlich glücklich? Was erfüllt mich? Lebe ich nach meinen innersten Überzeugungen? Und somit beginnt der innere und meist unangenehme Monolog in den existenziellen Abgrund unserer Psyche.
Doch wenn das Lebensziel eines Menschen das ,,Glücklichsein" ist, dann suggeriert dies im gegenwärtigen Moment ein Gefühl der Unvollkommenheit. Denn dieses Ziel würde nur in der Zukunft erreicht werden können. Aus Gründen wie diesen wenden sich Menschen der Philosophie zu, um ihre gegenwärtigen Unbehagen zu lindern und mögliche Lösungen auf ihre Probleme zu finden. Katzen hingegen benötigen keine Philosophie, um glücklich zu sein - Glück ist für sie eine Verfassung, die ihrer Natur entspricht. Katzen sind demnach glücklich, dass sie sie selbst sind, während Menschen versuchen, glücklich zu werden, indem sie sich selbst entfliehen. Man kann von Katzen also vieles lernen, zum Beispiel das unser Streben nach Glück erfolglos bleiben muss. Wieso das so ist, erläutere ich im nächsten Abschnitt.
Und genau hier setzt die Philosophie an: Noch weit bevor Moral diesen hohen Wert zugeschrieben bekommen hat, wie wir sie heute kennen, gab es in der chinesischen Antike andere Sichtweisen auf ein erfülltes Leben. Die Lösung war der Daoismus, der sich dem Fluss des Lebens bzw. dem Weg des Universums widmete. Diese Denkweise stellte nicht die Moral oder irgendwelche Prinzipien in den Mittelpunkt, wie es beispielsweise der Stoizismus tut. Die Sinnhaftigkeit bestand vielmehr darin mit der Natur zu leben, die einem gegeben wurde. Um es einfacher auszudrücken: Mit dem leben, was man hat und der man ist. Dem Dao werden zwar auch Tugenden zugesprochen, die aber laut John Gray auch als Katalysatoren gesehen werden, um ein Leben gemäß der Dinge führen zu können. Sie sind demnach vielmehr ein Leitfaden zur Orientierung, anstelle eines übergeordneten Gesetzes.
In der gegebenen Natur zu leben bedeutet es demnach, ein Daoist zu sein. Katzen sind von daher geborene Daoisten: Sie folgen nämlich ihrer eigenen Natur und verlieren sich nicht in Überlegungen und moralischen Forderungen. Im chinesischen spricht man auch von der Nützlichkeit, nutzlos zu sein („wúyòng zhī wéi yòng“) oder auch dem Prinzip des ,,Freien Wanderns" (,,xiāoyáo yóu").
Die westliche Philosophie änderte über die Jahrtausende das Bild vom Menschen, die traditionelle antike Philosophie lehrte dem Menschen im Einklang mit der Natur zu leben, heute stellen uns moderne Ansätze wie der Existenzialismus vor neuen Herausforderungen. Sie schreiben dem Menschen die Suche nach einem tieferen Sinn im Leben zu, den wir finden müssen, um glücklich zu sein. Tiere leben ohne diese Suche nach einem Sinn, sie sind, im Gegensatz zu Menschen diejenigen, die ihr Leben als Geschichte gestalten wollen.
Moral als Glückskiller
Moralvorstellungen und Erwartungen an die eigene Persönlichkeit begleiten den Menschen ein Leben lang. Handeln wir gemäß unserer und den Moralvorstellungen anderer, so verstärkt dies die Sinnhaftigkeit des Lebens. Die Kehrseite zeigt sich leider auch dann, wenn wir moralische Prinzipien brechen. Man fühle sich gefüllt mit Reue und Schuldgefühlen, die einem das Leben erschweren. Moral scheint demnach ein menschengemachtes Problem zu sein, denn Katzen handeln fernab jener moralischen Vorstellung. Sie besitzen keine Ideale und zerbrechen sich nicht den Kopf über das richtig oder falsch sein. Moral hat für uns einen Wert, der wertvoller ist als manch anderer. Vergleichen wir dies mit einem Beispiel:
Auf der Straße findet ein Mensch eine Geldbörse rumliegen und hebt sie auf. Aus moralischer Sicht entstehen hier nun ein Zwiespalt und er stellt sich die Frage: ,,Bringe ich die Geldbörse ins Fundbüro?" oder ,,Stecke ich sie mir einfach ein, denn niemand hat es gesehen?"
Geprägt durch die gesellschaftlichen Normen und Werte, aber auch den eigenen Umständen wird das entsprechende Verhalten moralisch bewertet. Gibt der Mensch die Geldbörse zurück, so wird er sich gut fühlen - nicht nur weil er einem anderen Menschen geholfen hat, sondern weil er seinen eigenen moralischen Erwartungen treu geblieben ist. Behält er die Geldbörse. so wird der kurzfristige Gewinn durchaus verlockend sein, aber das schlechte Gewissen könnte später noch an ihm nagen. Die Bürde, Entscheidungen treffen zu müssen, statt sie zu ignorieren (wie es Katzen tun würden), machen uns entweder zu einem besseren oder schlechteren Menschen. Während die Tiere frei von diesen inneren Konflikten sind, tragen wir diese Bürde.
Während Katzen Gleichmütigkeit ausstrahlen, ist es uns durch unser Selbstbild schwer möglich nicht an eine sinnhafte Lebensgestaltung zu denken. Weil wir in der Lage sind, Vergangenes zu reflektieren und Zukünftiges zu erdenken, wird uns die Tatsache bewusst, dass wir eines Tages nicht mehr existieren werden. Wenn bei uns Menschen ein ungeplantes Wochenende ansteht oder Tage haben, an denen wir nichts machen, kann es sich manchmal so anfühlen als würden wir unsere kostbare Zeit verschwenden.
Katzen gehen einfach auf die Jagd, spielen miteinander und schlafen, wenn ihnen danach ist und denken nicht darüber nach, wie langsam oder schnell die Zeit gerade vergeht. Sie haben demnach keine innere Unruhe, die sie dazu zwingt, aktiv zu werden. Sie planen ihr Leben nicht, sie nehmen es wie es kommt.
Von daher versucht sich die Menschheit durch Ablenkungen (auch Zerstreuung genannt) das komplexe Leben erträglicher zu machen. John Gray spricht hierbei nicht nur von den Ablenkungen durch z.B. unser Smartphone, sondern vielmehr um das Herbeiführen künstlicher Situationen, um nicht an unser ,,Elend", was wir Leben nennen, denken zu müssen. Wir stürzen uns in eine neue Liebe und geben einen Teil von uns selbst auf oder aber gehen wir auf Reisen, um nicht an unsere Sorgen denken zu müssen. In der Antike wollte man den Existenzängsten durch Philosophie und Religion entfliehen, um auf mögliche Antworten zu kommen. Bis heute gibt es aber keine eindeutige Lösung auf die Frage, was uns denn nun unsere Existenz erträglicher machen lässt und was uns letztlich glücklich macht. Es gibt lediglich viele Ansätze aus der westlichen und östlichen Philosophie, die versuchen ein Wegweiser auf dem Weg zum Glück zu sein. Stoizismus lässt erstrebenswerte Tugenden und Werte aufleben, die letztlich ein glückliches Leben versprechen wollen. Der Daoismus verneint ein Leben nach geschriebenen Gesetzen und zielt viel eher darauf ab, dem Fluss des Lebens zu folgen und alles auf sich zukommen zu lassen. Glück ist demnach Interpretationssache - viele Wege führen nach Rom.
Liebe war nicht immer die Liebe, wie wir sie heute definieren würden. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert hatte Liebe einen eher zweitrangigen Stellenwert, geprägt aus ökonomischen Gründen (z.B. einer Zweckgemeinschaft) und dem familiären Druck. Im 18. Jahrhundert fing allmählich die Romantisierung an, die einen neuen Blickwinkel auf die Liebe geben sollte. Begriffe wie Seelenverwandte, echte Liebe erfordert keine Arbeit und muss spontan & intensiv sein prägten allmählich die kommenden Generationen bis zum heutigen Tag. Diese Idealisierung mag zwar auf dem ersten Blick positiv klingen, bringt aber auch große Risiken mit sich: Es entstehen unerreichbare Erwartungen, denn die Realität sieht meist ganz anders aus. Zitiert aus der Bücherreihe Alain de Botton (School of Life) sieht er Romantik als eine schöne, aber gefährliche Fantasie und für den Hauptgrund, weshalb moderne Beziehungen scheitern.
Bezogen auf Katzen sieht das mit der Liebe ganz anders aus: Während unsere Liebe oft von Erwartungen, Idealen und teilweise auch Selbsttäuschungen geprägt ist, ist Katzenliebe oft gegenwärtig und frei von jeder Illusion. Sie lieben, wenn ihnen danach ist - und das meist nur aus dem Moment heraus. Jeder kennt diese Situation wenn man abends entspannt auf der Couch sitzt und die Katze vorbeikommt, um mit einem zu kuscheln. Katzen fordern sich ihre Liebe dann ein, wenn sie es gerade brauchen. Sie gehen aber auch einfach, wenn sie wollen. Auch bei den Katzen untereinander gibt es kein Besitzdenken, ihre Liebe ist nicht an irgendwelchen Bedingungen geknüpft. Sie zeigen damit auf: Wir sollten lernen zu lieben, ohne festzuhalten.
John Gray über das Thema Zerstreuung
Der Weg des Dao
Glück versus Unglück
Auch wenn der Mensch dafür bekannt ist viele Tiere domestiziert zu haben, so sind auch viele der strengen Überzeugung, dass dies auch bei den Katzen der Fall sei. John Gray sieht dies jedoch anders, denn die Katze habe den Menschen domestiziert. Sie schlossen sich freiwillig dem Menschen an, denn schon früher bot die Allianz beiderlei Vorteile: Die Katzen schützten nämlich die Getreidelager, indem sie Schädlinge bekämpften. Durch die Duldung des Menschen fanden Katzen allmählich immer mehr Platz innerhalb der Städte und Dörfer, bis wir sie letztendlich als unsere Haustiere betiteln. Bis heute zeigen Katzen einen starken Eigensinn in ihrem alltäglichen Tun. Sie leben teils sogar halbwild und könnten kommen und gehen, wann immer sie wollen.
Katzen haben im Vergleich zu Hunden immer die freie Wahl und könnten theoretisch eigenständig leben, trotzdem entscheiden sich viele Katzen dennoch für ihre Besitzer und erziehen sie, indem sie gefüttert und gestreichelt werden, wenn sie es sich einfordern. Katzen leben somit zwar mit Menschen zusammen, aber unter ihren eigenen Bedingungen.
Wie Michel de Montaigne einst schrieb:
,,Wenn ich mit meiner Katze spiele - wer weiß, ob ich nicht mehr ihr zum Zeitvertreib diene als sie mir?"
*Michel de Montaigne (1533–1592) war ein französischer Philosoph, Schriftsteller und Politiker der Renaissance.
Bonuskapitel: Wieso wir so viel schlechter lieben als Katzen
Meine Schlussgedanken
Eine Katze zu sein, bedeutet gleichmütig dem Leben gegenüberzutreten. Man nehme alles so hin, wie es eben kommt und handele nach bestem Gewissen so, wie man es für richtig hält. Die Wahrheit ist jedoch, dass wir eben keine Katzen sind. Unser selbst reflektierendes Denken und Handeln macht uns das Leben durchaus schwerer, als es eigentlich sein müsste. Doch genauso wie es in der Natur der Katzen liegt, genügsam den Tag zu genießen, liegt es in unserer Natur, vieles zu überdenken und unserem Leben einen Sinn zuschreiben zu wollen. Das ist die Eigenschaft, die uns erst zu einen vollständigen Menschen machen. Es wäre nicht richtig, das komplette ,,Menschsein" aufzugeben, nur weil das Leben eben zu komplex für uns ist, um verstanden zu werden. Dennoch können wir einiges von unseren Fellnasen lernen und auch für uns umsetzen. Aus diesem Grund habe ich die (meiner Meinung nach) wichtigsten Punkte einmal zusammengefasst...
Höre auf dem Glück hinterherzujagen, denn solange du das tust wirst du das Glück nicht finden. Tue stattdessen lieber das, was dir gerade Spaß macht.
Manfred
Mache aus deinem Leben keine Geschichte, die du am Ende erzählen willst. Deine Vergangenheit bestimmt nicht deine Zukunft, lebe im Hier & Jetzt.
Fiona
Katzenkrasse Tipps für ein gutes Leben
Übe dich darin Menschen zu lieben, ohne zu klammern oder besitzen zu wollen. Katzenliebe ist freiwillig, situativ und nicht auf die Zukunft ausgerichtet.
Friedolin
Danke, dass du meinen Beitrag bis zum Ende durchgelesen hast. Wer mehr über diese Themen erfahren will, dem kann ich diese Buchempfehlungen aussprechen:



